Kapitel 32: Die Festung aus Schrott, nicht eingenommen und doch verlassen?

Ein Donnerschlag reißt Flip und Robin aus den Gedanken. Die Erde zittert und ein blaues Leuchten lässt sie dorthin blicken, wo sie am Vortag in die Welt geworfen wurden. Direkt über dem Steinhaufen, den Flip errichtet hat, zieht sich für einen kurzen Moment ein Riss durch die Luft, gerade lang genug, um einen massigen schwarzen Körper auszuspucken, der mit einem dumpfen Schlag im Matsch landet.

Wie auch immer Flip das gemacht hat, die pulsierende Fläche zieht mich unaufhaltsam an. Mit einem Mal herrscht Dunkelheit und ich spüre, wie ich immer schneller falle, auch wenn es kein oben und unten gibt. Im nächsten Moment sehe ich Licht und lande unsanft auf meinem Bauch.

Um mich herum sind Bäume und Büsche und es regnet Bindfäden, aber ich sehe keine Geister und keine Wiedergänger. Stattdessen höre ich Flips Stimme und sehe ihn den Hügel hinauf auf mich zu rennen. Als er bei mir ist, erzählt er mir von einer Siedlung und von einem Kampf, während ich mich noch immer nach Rosaline und Odette umschaue. Erst langsam begreife ich, dass die anderen schon viel – fast einen ganzen Tag – früher als ich hierhin geraten sind. Meine Verbindung zu den Loa lässt mich wohl anders durch ein Rift reisen, als die anderen. Jekawa hat mal erzählt, dass während der Kriege ganze Armeen auf den Rifts gereist sind. Sie hatten dafür besondere Maschinen, doch ohne die Gunst der Loa wäre das nicht möglich gewesen. Wenn ich so darüber nachdenke, kann es nicht Flip selbst gewesen sein, der das Tor aus dieser schrecklichen Geisterwelt geöffnet hat. Wahrscheinlich war das der flammende, wütende Geist, der sich in ihm niedergelassen hat, was auch immer das für Flip und unser Schicksal bedeutet.

Der Vierarmige führt mich zu einer Höhle, deren Eingang erst zu erkennen ist, wenn man direkt davor steht. Hier haben sie wohl die letzte Nacht verbracht. Den Loa sei Dank sind alle wohlauf. Robin gibt mir etwas zu essen und ich kann mich endlich einen Moment ausruhen, während sie mir von der vergangenen Nacht erzählen.

Flip hat sich wohl die Siedlung nochmal genauer angeschaut und erzählt, dass er dort Bewegungen gesehen hat. Ansonsten scheint alles voll von toten Rieseninsekten, den gleichen, wie wir sie in Sisone bekämpft haben. Von Menschen hat er keine Spuren entdeckt. Auch sieht die Siedlung nicht so aus, als wäre sie von Menschen gebaut, obwohl sie offensichtlich aus Trümmern der Vorväter vor der großen Verheerung errichtet wurde.

Robin ist sich nach seinen Erkundungen sicher, dass wir in der Nähe von Sisone sind, irgendwo nördlich unserer Heimat. Das sind gute Nachrichten.

Der Metallmann schlägt vor, die Siedlung genauer anzuschauen. So wie er sich bewegt, scheinen die Reperaturen, die Evelyn und er am Morgen vorgenommen haben, tatsächlich etwas gebracht zu haben.

Wir gehen alle aus der Höhle und Flip zeigt mir die riesigen Ungetüme, die sie gestern besiegt haben. Er nennt sie Brodkils und erzählt, dass es Dämonen sind, die in Massen aus den Rifts auf unsere Welt gekommen sind und sehr viel mit wütender Gewalt zerstört haben. Sie sind auf unserer Welt geblieben und ließen sich auch schon von manchen bösen Mächten für ihre Zwecke einspannen. Sie verstärken ihre Körper gerne mit Technik (Flip nennt das “Cyberware”), auch wenn sie dadurch ihre Fähigkeit verlieren, sich unsichtbar zu machen. Aber sie sind wohl eh wilde Krieger, die ihre Gegner im Kampf Auge in Auge sehen wollen, deshalb machen sie sich schneller sichtbar, als es taktisch klug wäre. Ich glaube, Jekawa hat diese Monster mal in einer seiner Geschichten erwähnt.

Bob berichtet, dass er aus dieser Entfernung keine neuen Informationen über die Siedlung erfassen kann, außer dass sich an der Südseite ein verschlossenes Tor befindet.

Ich schlage vor, dass wir versuchen herauszufinden, was hier geschehen ist. Die anderen widersprechen nicht und Robin macht sich auf, um die Siedlung besser zu erkunden. Wir anderen geben uns Mühe, auch auf einem möglichst gut gedeckten Weg näher an die Siedlung heranzukommen.

Über Funk berichtet Robin, dass er den Rand des Kampffeldes erreicht hat. Er kann erkennen, dass die eine Hälfte des Tores nach dem Kampf geöffnet worden sein muss, jetzt aber wieder verschlossen ist. Als Ethan einen morschen Baum umrennt, der mit einem lauten Klatschen in den schlammigen Boden knallt, kann Robin hinter einer der Luken, die sich in dem Festungswall ziehen, Licht und eine Bewegung erkennen.

Wir harren ein paar Minuten aus, aber nichts passiert. Schließlich bewegen wir uns weiter und können langsam genauer erkennen, dass diese imposante Mauer tatsächlich aus allem möglichen Metallschrott zusammengeschweißt wurde. Aber sie ist rundum einheitlich hoch und in regelmäßigen Abständen sind Lücken zu erkennen, die offensichtlich absichtlich gelassen wurden und wahrscheinlich als Schießscharten dienen.

Das Schlachtfeld ist voll von schwarzen Käferleichen, es sind einige der riesigen “Schaben” zu erkennen und sogar mehrere der haushohen Insekten-Titanen, wie der eine, der unseren Maschinenkern beinahe zerstört hätte. Es stinkt nach Insektenblut.

Ich schlage vor, dass wir uns etwas aufspreizen und Flip teilt uns in zwei Gruppen auf: Flip, Robin, Dodo und Bob, Evelyn, Ethan. Doch wir werden nicht behelligt und erreichen die Mauer. Durch die Schießscharten kann der Vierarmige improvisierte Gebäude aus dem gleichen Schrott wie die Mauer erkennen. Auch einige weitere schwarze Käferleichen aber keine Bewegung.

Das Tor der Siedlung

An einer Stelle ist die Mauer eingedrückt und eine Spur zu erkennen, die zu ein paar niedergewalzten Gebäuden führt, wo schließlich einer der Insekten-Titanen zu Ende gebracht wurde, der wohl einfach über die Mauer gelaufen war.
Bei der anderen Gruppe klettert Evelyn mit Bobs Hilfe auf den Wall. Auch sie sieht keine Lebenszeichen, kann aber bis zum Seeufer schauen, wo sie einige Stege erkennt.

Wir sammeln uns wieder und nutzen die eingedrückte Stelle in der Mauer, um in die Stadt reinzuklettern. Es ist ein unübersichtliches Chaos aus seltsamen Gebäuden. Alles ist aus Metall, alles ist irgendwie zusammengesetzt, Vorhänge aus Kunststoff flattern im Wind, Karren, Kisten und Container liegen rum. Hier könnte uns aus jeder Nische jemand auflauern, aber bisher reagiert immer noch niemand auf unser Eindringen.

Bob weist darauf hin, dass die vielen Kabel, die herumhängen, in einem etwas größeren Gebäude in der Mitte des Ortes zusammenlaufen und vermutet, dass sich dort so etwas wie unser Maschinenkern befindet. Er schlägt vor, dass wir dorthin gehen, doch Flip will sich erstmal von einem höheren Gebäude hier am Rand einen Überblick verschaffen. Vorsichtig führt er uns an der Mauer entlang zu einem Konstrukt, das aus drei riesigen, aufeinandergestapelten Containern besteht, an denen eine stabile Metallleiter nach oben führt. Weiter oben ist eine Strickleiter zu erkennen, die das Dach mit einem benachbarten Gebäude verbindet.

Flip und Robin gehen nach oben, um die gesamte Lage zu überschauen. Flip berichtet, dass von dort oben zu erkennen ist, dass die Käfer offensichtlich taktisch angegriffen haben, denn sie kamen durch eine schmale Schneise im Wald und haben sich erst kurz vor Stadt aufgefächert. Robin erinnert an das fliegende Insekt über Sisone, das unser Metallmann als “Steuereinheit” bezeichnet hatte und die Käfer zu einem koordinierten Angriff angeleitet hatte. Dennoch haben es anscheinend nicht viele Käfer über den Wall geschafft und die Verteidiger haben den Angriff abgewehrt. Um so merkwürdiger ist es, dass hier scheinbar niemand mehr ist.

Allerdings können Flip und Robin nun doch auch viele Felisäerleichen sehen: Im See und am Land in der Nähe des Ufers. Irgendwer hat sie wohl alle dahingeschafft. Bloß warum?

Doch uns bleibt keine Zeit, länger darüber zu sinnieren, denn Flip alarmiert uns, dass er Bewegungen an mindestens zwei der uns überall umgebenen geeigneten Scharfschützenpositionen gesehen hat, an einer Stelle hat er wohl rote Augen erkannt. Im gleichen Moment strauchelt ein Felisäer mit silbernem Fell und erhobenen Händen aus einem Gebäude unweit von dem Platz, an dem der Insekten-Titan zur Strecke gebracht worden war und ruft etwas in seiner fauchenden Sprache. Ethan kann es uns übersetzen: “Hilfe, ihr müsst kommen, wir haben nur noch wenig Zeit”.

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