Shadow Files 15 – Märchenstunde

Die jazzigen Snare-Besen werden lauter und gehen in ein regelmäßiges Schleifen über, das sich langsam nähert. Schließlich quält und zirkelt sich ein Hirschkäfer von der Größe eines Rhinozeros um die Gangecke und beschleunigt auf die überraschten Kampfgefährten zu. Er füllt den Gang nahezu aus und droht alles vor sich her zu schieben.

Max stellt sich mit dem Speer entgegen, das er dem wütenden Angreifer vor der Tür entwendet hat. Goran hebt die AK-74 und feuert eine ohrenbetäubende Salve, um das Monster zu erschrecken. Mit etwas reduzierter Wucht erreicht der Käfer Max, der den Speer in einer Bodenfuge verkeilt hat, doch der Speer rutscht heraus und durchdringt die dicke Panzerung des Riesenkrabblers nicht. Auch die nächste Salve von Goran prallt nahezu wirkungslos davon ab, nur ein paar Risse ziehen sich nun durch den fast anmutig schönen und glänzenden Panzer.

Aus der dritten Reihe beobachtet Ronan das außergewöhnliche Geschöpf genau und gewinnt nicht nur den Eindruck, dass es sich eher wie ein abgerichteter Hund denn wie ein wildes, wütendes Tier verhält, sondern insbesondere bemerkt er eine Art Lederriemen, der um den Leib geschnallt ist und Schnitzereien in einigen der Panzerplatten.

Doch viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht, das Monsterinsekt schiebt sie mit all seiner Masse zur Tür und droht, sie dort zu zerquetschen oder aus der Tür in den Abgrund zu schieben. Goran stemmt sich mit all seiner Muskelkraft entgegen und tatsächlich gelingt es ihm, das Ungetüm für ein paar wertvolle Sekunden aufzuhalten.

Ronan erinnert sich plötzlich an das Lied, das er zuvor gehört hatte. Mit glasklarer Falsettstimme stimmt er die alte gälische Weise an und tatsächlich lässt der riesige Käfer den Kopf sinken und von ihnen ab. Schnell zwängen sich alle Drei an dem Hexapoden vorbei auf die hoffentlich ungefährlichere Seite, denn er kann sich in diesem Gang mit Sicherheit nicht umdrehen.

Als sie auf die Tunnelgabelung zu eilen, kommen ihnen zwei bemerkenswerte Gestalten entgegen: groß, durchtrainiert, gepflegt, sehr dunkelhäutig. Einer trägt eine goldverzierte Prunkrüstung und eine goldglänzende Hellebarde, während der andere seinen muskulösen Oberkörper zur Schau stellt und eine Armbrust mit sich führt, die viel moderner als die archaischen Kriegswaffen aus den Museen aussieht.

In äußerst geschwollenem Englisch wendet sich der berüstete Mann an die Gruppe. Ein kurzes Gespräch ergibt, dass man sich hier in einer Welt namens Umbanda befindet. Die verzierte Tür, durch die die Reisenden gekommen sind, trennt Umbanda von einer anderen Welt, in der die als Pikten bezeichneten Nordwilden ihr Unwesen treiben, wohl die, mit denen die drei Erdlinge auch schon das Vergnügen hatten. Auch die Erde ist ein Begriff, aber laut Protokoll dürften die Reisenden gar nicht dort sein, wo sie sind, denn sie sind nicht eingeladen.

Das Gespräch verläuft sehr höflich und wird nur kurz durch den Käfer unterbrochen, der umständlich rückwärts aus dem ersten Gang “ausparkt”, um dann nach links in die Dunkelheit zu verschwinden. Dennoch machen die Männer, die sich selbst als Wächter bezeichnen und nach ihrer Aussage keine Namen tragen dürfen, deutlich, dass die Reisenden unerwünscht sind und die Welt wieder verlassen sollen.

Als Ronan beiläufig erzählt, dass er die Tür einfach geöffnet hat, ist für einen kurzen Moment eine Unsicherheit im ansonsten absolut souveränen Auftreten der Hüter zu erkennen. Nach einer kurzen Rücksprache in einem fremden Zungenschlag, der sehr an die südafrikanischen Klicksprachen erinnert, erklärt der Mann mir der Rüstung das Gastrecht für eine Nacht. Die Reisenden sollen sich ausruhen und es sich gutgehen lassen unter der Bedingung, dass sie ihre Unterkunft nicht verlassen.

Es folgt ein kurzer Marsch durch viele ähnliche Gänge, die alle rechtwinklig angeordnet scheinen. Ab und an wird eine geschlossene Tür passiert, von denen manche ähnlich verziert sind wie die, durch die sie diese Welt betreten haben, während andere dagegen einfach aussehen. Max erkundigt sich, ob ganz Umbanda nur eine Höhle sei, doch die Wächter deuten an, dass es auch sehr große Räume mit einer Art Sternenhimmel gebe.

Schließlich erreichen sie eine Sackgasse mit vier Türen. Durch eine davon werden sie in eine luxuriöse Suite geführt mit Springbrunnen im Zentrum, mehreren Schlafräumen, Baderaum mit fließendem Wasser (per Pumpe) und vielem mehr. Mit einem erneuten Hinweis darauf, die Gasträume nicht zu verlassen und pfleglich zu behandeln, verabschieden sich die Wächter für angekündigte zwölf Stunden und wünschen gute Erholung.

Goran lässt sich auf ein bequemes Sofa sinken und schläft sofort ein. Ronan und Max inspizieren ungläubig das luxuriöse Apartment und machen sich schließlich daran, mit einem Holzofen Wasser zu erhitzen, um Ronan endlich von seinem erbärmlich stinkenden Dimensionsdarmschlund-Verschmierungen zu befreien.

Ronan ist gerade frisch, da klopft es an der Tür. Max öffnet vorsichtig und sieht sich einer unfassbar schönen Frau gegenüber. Ihr ebenholzfarbener Körper steckt in einem Kleid aus tausendundeiner Nacht und sie kündigt dem überrumpelten Max an, dass sie nun das Essen servieren. Eine ganze Entourage an Kindern schleppt Beitische, Decken und Unmengen an verschiedensten Gerichten an und baut ein opulentes Buffet auf, das aussieht wie aus einem Märchenbilderbuch. Dann verschwinden sie wieder und die geheimnisvolle Schöne verabschiedet sich. Max lässt seinen Charme spielen [Aspekt: Findet überall Fans/Bewunderer] und kann ihr eine ganz leichte Zugänglichkeit bei ihrem ansonsten perfekten und unnahbaren Auftreten abtrotzen.

Bei den Gerüchen erwacht auch Goran und gemeinsam schlagen sie sich die Bäuche mit den exotischen Köstlichkeiten voll. Auch wenn manches nicht so schmeckt, wie es aussieht, lecker ist es. Schließlich fallen alle ins Bett.

Mitten im Schlaf werden sie durch lautes und energisches Klopfen geweckt. Nachdem sie sich etwas übergestreift haben, öffnet Max vorsichtig die Tür. Ein schwarzer Hühne betritt den Raum mit den lapidaren Worten, dass sie ja reden und Fragen stellen wollten (was sie den Wächtern gegenüber auch geäußert hatten). Das überraschende an dem Mann ist nicht unbedingt sein Gehstock, sondern vor allem der Anzug mit Krawatte und die Frisur, die so gar nicht an diesen Ort passen, sondern eher in eine amerikanische Großstadt auf der guten alten Erde …

Ersten Kommentar schreiben

Antworten